Interview mit Chrischta Ganz - Teil 2

05. Feb 2021

Vom 16. bis 24. Oktober 2020 fand der Onlinekongress „Medizin der Erde“ statt. Christel Ströbel, die Veranstalterin und Interviewerin, sowie Chrischta Ganz stimmen gerne zu, das Interview hier in vier Teilen zu veröffentlichen. Im Folgenden lesen Sie Teil 2.

Chrischta Ganz eidg. dipl. Naturheilpraktikerin TEN
Chrischta Ganz
eidg. dipl. Naturheilpraktikerin TEN

Über die Geduld

Rainer Maria Rilke

Man muss den Dingen
die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist austragen
– und dann gebären.

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst, dass kein Sommer
kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit ...

Man muss Geduld haben, gegen das Ungelöste im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

Warum bilden sich die Knospen so früh?

Im Winter hat der Baum oder Strauch keine Möglichkeiten, Knospen zu bilden, denn da ziehen sich die Kräfte zurück. Darum werfen die Bäume ihre Blätter ab. Würde der Baum die Knospen erst im Frühling bilden, wäre er nicht rechtzeitig bereit, um sie zu entfalten. Alles muss dann schon vorbereitet sein. Vielleicht kann man es mit einer Schwangerschaft vergleichen. Die befruchtete Eizelle nistet sich ein und dann gilt es sie auszutragen. Man wartet dann. Es verändert sich vielleicht etwas im weiblichen Körper, aber das Kind ist noch nicht auf der Welt. Es kommt erst, wenn seine Zeit gekommen ist. Das ist eine Qualität, die man von Bäumen und Sträuchern lernen kann: Es gibt eine Zeit, aktiv zu sein, und es gibt eine Zeit, um zu ruhen. Das gehört nach der alten Naturheilkunde, der TEN, in das Gebiet der Ordnungslehre: Man muss ein Gleichgewicht zwischen Aktivität und Passivität finden, sonst bekommt man einen Burn-out, wenn man modern sprechen möchte. Wenn ich nie Pause mache, brenne ich im Burn-out aus oder erleide einen Herzstillstand oder wie auch immer. Heutzutage ist es nicht attraktiv zu sagen: Ich mache jetzt mal Winterpause. Aber genau das benötigen wir: Pausen.

Ja, wir arbeiten gegen unsere eigene Natur und wundern uns, dass es nicht klappt.

Es gibt ein sehr schönes Gedicht von Rilke. Er beschreibt darin die Geduld des Baumes, der keine Sekunde im Winter das Gefühl hat, es sollte schneller gehen. Er wartet in den Winterstürmen, bis es Frühling wird. Er wartet, er weiß, die wärmeren Tage werden kommen.

Zu wissen, ich brauche nur auf den richtigen Zeitpunkt zu warten und dann geht es weiter …

Das kennen wir alle ein bisschen aus unserem Leben. Manchmal will man alles schnell machen und nichts geht. Wenn man es zur Seite legt und setzt sich am nächsten Tag wieder hin, dann fließt es plötzlich. Einfach nur, weil es der richtige Zeitpunkt ist. Dieses Wartenkönnen, Geduldigsein, Aushalten, einfach nur Stehen und Warten, bis der Frühling kommt, das können uns die Bäume lehren. In unserem Lebensumfeld gibt es so viel Bewertung, dass die Aktivität besser sei als das Passivsein. Wenn Du sagst: Heute Morgen habe ich an einem neuen Buch gearbeitet, dann habe ich mit der Nachbarin gekocht, dann war ich in einer Mediation, dann habe ich im Garten gearbeitet. Dann klingt das in unseren modernen Ohren viel besser, als wenn ich Dir sagen würde: Ich habe ein bisschen gelesen und vor mich hingeträumt, dann einen Tee gekocht und sinniert über das Leben. Das klingt in den modernen Ohren der Menschen in unserer Welt ein bisschen langweilig.

Das klingt so: Die macht ja gar nichts

Das ist auch in der Esoterik- und Naturheilkundeszene so. Wenn ich Dir sage, ich war in der Schwitzhütte und habe ein Pflanzenritual gemacht. Das klingt viel besser, als wenn ich sage: Ich war heute ein bisschen müde, ich war einfach zu Hause.

Genau. Oder: Ich muss noch an mir arbeiten, etwa auflösen. Gleichzeitig sage ich mir immer: Ich bin nicht in Ordnung, ich muss etwas tun.

Kein Baum hat das Gefühl: Ich bin nicht in Ordnung. Auch wenn ein Baum etwas klein und verkrüppelt ist. Das ist nicht ihre Art, in der Welt zu stehen: Ich bin nicht ganz perfekt, ich muss jetzt noch 30 Sommer warten, dann bin ich gut

(Hier endet der zweite Abschnitt des Interviews. Nach und nach schalten wir drei weitere Teile frei. Wir danken Chrischta Ganz und Christel Ströbel ganz herzlich für ihre Bereitschaft, das Interview der Gemmo-Community zum Nachlesen zur Verfügung zu stellen.)

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