Interview mit Chrischta Ganz

18. Jan 2021

Vom 16. bis 24. Oktober 2020 fand der Onlinekongress „Medizin der Erde“ statt. Ins Leben gerufen hat ihn Christel Ströbel – schon zum zweiten Mal. 23 Referent*innen nahmen die Hörenden mit in die Welt der Heilkräuter, Bäume, Sträucher und Pflanzenwesen. Unter anderem Chrischta Ganz, Mitglied unserer Community, die online ein so spannendes Interview gab, dass wir Christel Ströbel (Interviewerin) und Chrischta Ganz fragten, ob wir es hier veröffentlichen dürfen. Beide stimmten gerne zu.

Christel Ströbel
Christel Ströbel
Chrischta Ganz eidg. dipl. Naturheilpraktikerin TEN
Chrischta Ganz
eidg. dipl. Naturheilpraktikerin TEN

Chrischta Ganz ist vielen aus unserer Community bekannt durch die wunderbaren Bücher, die sie zusammen mit Louis Hutter verfasst hat (s. Media). Sie ist eidgenössische dipl. Naturheilpraktikerin TEN. In ihrer eigenen Naturheilpraxis begleitet sie Menschen in Krisenzeiten, hilft ihnen, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, und wendet schamanische Heiltechniken an. Sie ist Buchautorin, Dozentin, Referentin und Kursleiterin. Auf ihrer Website beschreibt sie sich so:

„Meine Naturverbundenheit lebe ich im Draussen-Sein, im Feiern der Jahresfeste, in meiner Freundschaft mit der Pflanzenwelt, in Naturritualen und im Begrüssen der Kräfte des Universums. Meine Liebe für die Menschen lebe ich in meinem Praxisalltag und meinem privatem Leben. Meine künstlerischen Seelenanteile lebe ich im kreativen Schaffen mit Wort und Klang und allen möglichen Materialen – geboren aus Blütenstaub, Rhythmus, Musik, Sonnenstrahlen auf der Haut und philosophischen Nachtgesprächen im Mondlicht.“

Christel Ströbel: Vielleicht magst Du uns mitnehmen in Deine Welt, damit wir sehen, wie Du die Bäume und Sträucher empfindest und wie Du zur Gemmotherapie gekommen bist?

Das Spezielle an dieser relativ modernen Therapieform ist, dass man die Knospen nicht einfach isst oder zerreibt oder einen alkoholischen Auszug daraus herstellt, sondern dass man sie in einer Mischung mazerieren lässt, die Glyzerin und Alkohol enthält. Dank des Glyzerins können aus den Knospen noch viele weitere Stoffe herausgezogen und für den Menschen verfügbar gemacht werden, als es allein mit einem alkoholischen Auszug möglich wäre. Auch unsere Vorfahren haben schon Knospen verwendet, aber nicht auf diese Weise, als Gemmotherapie. Dabei ist die Herstellung nicht kompliziert. Man sammelt die Knospen zum richtigen Zeitpunkt und lässt sie in einer Mischung aus Alkohol, Glyzerin und Wasser ziehen: Fertig ist das Heilmittel. Die größte Schwierigkeit liegt darin, die Knospen in einer Jahreszeit zu sammeln, wenn der Baum noch keine Blätter hat und schwer zu erkennen ist.

Welche Inhaltsstoffe sind überhaupt in der Knospe? Das ist das Interessante. Die Knospe birgt das ganze Potenzial für das Blatt oder die Beere oder für die Frucht, die nachher daraus entstehen. Wir haben in ihr ein Kraftpaket an Pflanzenpotenzial, an Möglichkeiten. Wenn man sie stofflich betrachtet, sind es vor allem Wachstumshormone, die der Knospe die Kraft und die Information geben, ein Blatt oder eine Frucht zu bilden.

Hildegard von Bingen nannte die Kraft, die im Frühling in den Knospen ist, die Grünkraft, die „viriditas“. So kann man es umschreiben. Es ist die Frühlingsenergie, die das Potenzial hat, entstehen zu lassen, was auch immer für die Pflanze nötig ist.

Noch eine Sache, die mir am Herzen liegt: Ich bin seit jeher mit den Bäumen sehr verbunden. Als Kind war für mich klar, dass man mit den Bäumen sprechen kann. Natürlich habe ich das als Teenager abgelegt, man will als Jugendliche ja nicht komisch sein. Aber die Idee, dass die Bäume mit uns in Verbindung stehen, war immer da. Aus heutiger Sicht: Was ich ausatme, atmen die Bäume ein, und was sie ausatmen, atme ich ein. Wir sind direkt mit diesen grünen Baumwesen, Strauchwesen verbunden. Bestimmt war es der Auslöser dafür, dass mich die Gemmotherapie so fasziniert: Dass die Bäume dank der Gemmotherapie wieder in den Heilmittelschatz zurückkommen. Im Leben unserer Vorfahren waren die Bäume dabei, sie gehörten dazu. Man ging unter eine Linde oder unter eine Eiche, um einen Streit zu schlichten. Man ging in einen heiligen Hain, um zu beten. Die keltisch-germanische Tradition ist stark mit den Bäumen verbunden.

Heute haben wir genau das ein wenig verloren. In der klassischen Heilpflanzenkunde verwenden wir Lindenblüte, Holunderblüte und ein paar weitere Bäume, aber wir denken nicht an Buche, Ahorn und viele andere, obwohl sie um uns herum wachsen. Dank der Gemmotherapie sind die Bäume in den Heilmittelschatz zurückgekommen. Auf eine moderne Art und Weise, denn man kann ihre Wachstumshormone messen etc. Viel wichtiger ist für mich: Wir haben diese Kraft wiedergefunden, sie ist plötzlich wieder für uns verfügbar. Und das war für mich der Auslöser, mich mit dieser Form der Therapie zu beschäftigen. Natürlich habe ich bei der therapeutischen Arbeit auch gemerkt, wie wahnsinnig gut die aus den Knospen gewonnenen Mazerate wirken. Das war schließlich auch der Grund, die Bücher über Gemmotherapie zu schreiben. Aber meine Grundmotivation lag darin, die Verbindung mit den Bäumen wieder näher heranzuholen.

Du schreibst in Deinem Buch ein so schönes Zitat: „Die Ureinwohner Amerikas nennen Bäume unsere stehenden Brüder und Schwestern. Menschen und Bäumen haben eine aufrechte, vertikale Orientierung gemein. Wir gehen, sie stehen. Wir bewegen und verändern uns. Sie bleiben das stille Zentrum des Seins.“ Das ist so schön.

Das habe ich aus einem Buch von Fred Hageneder. Ich finde es auch sehr schön. Wir interessieren uns für die indianische Kultur und für die sibirische Schamanen. Aber wir haben diese Wurzeln auch in unserer eigenen Tradition. Zwar wurden sie hier auf dem Scheiterhaufen verbrannt und später in der wissenschaftlichen Revolution abgewertet. Aber die Idee lebt: Wir sind verbunden mit allem, mit allen Kräften der Natur.

Ich finde auch: Das ist keine Erfindung der Neuzeit oder der Esoterik. Es ist eher ein Zurückerinnern. Wie es früher ganz alltäglich war: Sich mit den Naturwesen zu verbinden, die Natur als Wesen wahrzunehmen, mit ihr verbunden zu sein, auf sie zu hören und ihre Botschaften zu empfangen.

Das ist auch interessant in Bezug auf die Bäume. Heute erforschen wir alles, was mit dem Wald zu tun hat. Welche Wirkung hat der Wald auf mich? Senkt er meine Stresshormone? Und so weiter. Das alles kann man heute nachweisen. All das war unseren Ahnen ganz ohne Wissenschaft bewusst. Oder die Thematik, dass die Bäume miteinander kommunizieren. Über die Pilzmyzelen, die im Boden über die Wurzeln der Bäume verbunden sind. Das ist eigentlich eine schamanische Sichtweise, der Wald sei ein Wesen und die Bäume kommunizieren miteinander. Das weiß man heute aus naturwissenschaftlichen Forschungen. Auch werden schwächere Bäume von anderen gestützt.

Eigentlich ist das alles ganz logisch. Unsere Vorfahren wussten es. Heute ist es wissenschaftlich nachweisbar. Zum Glück gibt es junge Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, ältere natürlich auch. Aber dadurch ist es nicht einfach ein Mythos. Früher wurde man komisch angeschaut, wenn man einen Baum umarmte. Heute nicht mehr.

Inzwischen kommt man auch weg von der reinen Idee, eine Heilpflanze hätte diesen und jenen Inhaltsstoff, daher wirke sie gegen dies und jenes. Das ist zu wenig. Ich denke, es ist ein ganz wichtiger Entwicklungsprozess, dass wir die Pflanzen als beseelte Wesen wahrnehmen. Denn ich sage auch den Studentinnen und Studenten: „Wenn Ihr sagen sollt, wie war heute die Dozentin, dann sagt Ihr nicht, dass sie blond ist, ein rotes Kleid trägt und Schuhgröße 36 hat. Das sagt überhaupt nichts aus über mich. Ihr sagt eher, dass sie fröhlich war, dass Euch die Vorlesung gefallen hat oder eben nicht.“ Man spricht nicht einfach nur über die Fakten. Niemand hat das Gefühl, wenn er meine Kleider, meine Haarfarbe, meine Schuhgröße weiß, würde er mich kennen. Man kennt jemanden erst, wenn man die feinen Qualitäten wahrnehmen kann. Das ist bei den Pflanzen genauso.

Das ist ein wunderbares Beispiel, das merke ich mir. Ich habe so im Januar/Februar vor fünf Jahren die Knospen entdeckt. Im darauffolgenden Winter waren für mich die Bäume und Sträucher so interessant. Bis dahin war alles ein bisschen grau, aber sobald ich registriert hatte, wie früh die Bäume und Sträucher Knospen ansetzen und ich den ganzen Winter über nach ihnen schauen konnte, veränderte sich auch viel in mir. Es ist etwas Besonders, sich für diese kleinen Dinge zu interessieren.

Genau, die Knospen bilden sich ja nicht im Frühling. Die Knospen macht ein Baum oder ein Strauch schon im Herbst. Dann wartet er geduldig den ganzen Winter, bis die Wärme und das Licht kommen, um sich dann zu entfalten. Das heißt, diese Beobachtung, die Du da machst, die ist verbunden mit den Jahreszeiten. Man sieht, der Winter ist ein Teil des natürlichen Zyklus, mit dem wir auf dieser Seite der Alpen umgehen. Wir leben mit diesen Jahreszeiten. Aber wie oft vergessen wir das? Wir müssen zur Arbeit, ob es Frühjahr, Sommer oder Herbst ist. Aber eigentlich sind wir Wesen, die in die Jahreszeiten eingebettet sind, die in diesen Qualitäten zu Hause sind. Ich habe Patienten, die mir sagen: Können Sie mir nicht etwas geben, ich bin im Winter so müde. Ich muss immer eine Stunde früher schlafen gehen. „Nein“, sage ich dann, „ich gebe Ihnen nichts“, sondern ich erkläre den Patienten, dass es absolut natürlich ist, wenn man im Winter etwas mehr Schlaf benötigt. Es ist wertvoll, auf den Körper zu hören.

Dieses Verbundensein mit der Natur heißt auch: Es gibt Jahreszeiten. Die Knospen bilden sich schon im Herbst, wenn die Felder mit unseren Ackerpflanzen zur Ernte bereit sind. Viele Monate warten diese Knospen dann, bis es Zeit ist, sich zu entfalten. Da ist die Natur eine große Lehrmeisterin. Denn wir selbst achten zu wenig darauf. Wir machen immer, was wir gerade wollen und verzichten auf nötige Pausen. Hier können wir von den Bäumen und Sträuchern lernen.

(Hier endet der erste Abschnitt des Interviews. Nach und nach schalten wir drei weitere Teile frei. Wir danken Chrischta Ganz und Christel Ströbel ganz herzlich für ihre Bereitschaft, das Interview der Gemmo-Community zum Nachlesen zur Verfügung zu stellen.)

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